Mexikanische und US-Grenzerfahrungen
Während der Covid-19 Pandemie erreichte meinen Großvater ein gelber Briefumschlag von einer Nichte seiner verstorbenen Schwester. Das Päckchen enthielt ungesehene Dokumente und Photographien, welche einige der Geschichten und des Lebens seiner Großeltern Antonio Vallejo und Bertha Riveroll wiederbelebten. Sie reichten von ihrer Jugend bis zu ihren letzten fünf Lebensjahren. Einige dieser Geschichten wurden bereits erzählt, aber waren lückenhaft. Diese Dokumente unterstützen dabei einige dieser Geschichten erzählen zu können, speziell diejenigen, welche von der Migration in die Vereinigten Staaten berichten. Sie helfen nicht nur einige der fehlenden Puzzlestücke zu ergänzen, sondern auch ihre Bewegungen in Grenzregionen zwischen den 1940er, 1950er Jahren sowie weitere Reisen meiner Großmutter in die USA in den 1980er Jahren nachvollziehen zu können.
Nach der mexikanischen Revolution migrierten meine Großeltern von den sehr katholischen und konservativen Staaten Michoacán und Hidalgo in die sich stets modernisierende und demographisch aus allen Nähten platzende Hauptstadt Mexico City.
Nachdem er in dem staatlichen Elektrik Unternehmen gearbeitet, fünf Kinder großgezogen und sich um Haus und Familie gekümmert hat, sind Antonio's und Bertha's Familie 1945 nach San José, Kalifornien, migriert.

Es ist nicht ganz klar, ob sie mit dem Bracero Programm, einem binationalen Arbeitsabkommen zwischen Mexico und den Vereinigten Staaten zwischen 1942 und 1964, eingewandert sind. Obwohl Viktor leugnete, dass er und seine Familie auf diese Weise dort angekommen waren, engagierte sich die Familie Vallejo Riveroll in einer immer noch überwiegend segregierten und boomenden Bay Area in Nordkalifornien, zu der Zeit als mein Großvater gerade 11 Jahre alt war. Alle Familienangehörigen haben sofort Arbeitsplätze gefunden, da die gesamten Arbeitskräfte im ganzen Land mobilisiert wurden und sich auf den Zweiten Weltkrieg konzentrierten.
Tatsächlich verbrachte mein Großvater mit 17 Jahren eine längere Zeit dort und kehrte mit einem Mann, der fließend Englisch sprach, nach Mexiko-Stadt zurück, der ihn für die mexikanische Niederlassung von General Electric und später als rechte Hand eines jüdischen Holzunternehmers arbeiten ließ. Obwohl in den Vereinigten Staaten kein naher Verwandter dieser Migrationserfahrung mehr lebt, war diese Erfahrung für viele von uns, die Nachkommen, ein Meilenstein, da wir mit einer zweiten Sprache in Kontakt kamen und sogar in weiter entfernte Länder wie Deutschland auswanderten.
Wie der mexikanische Historiker Daniel Cosío Villegas in einem seiner wichtigsten Essays argumentierte, sind die Geschichten Mexikos und der Vereinigten Staaten untrennbar miteinander verbunden und die eine kann nicht ohne die andere erklärt werden. Für uns in der Familie stellt dieser Doppelspiegel immer einen Punkt der Begegnung und des Nachdenkens dar, um zu verstehen, was es sowohl bedeutet, umzuziehen und so viele Dinge zurückzulassen, als auch an unerwarteten und fernen Orten ein Zuhause zu finden, das unseren Vorfahren sich vielleicht nie hätten vorstellen können.
